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Exkursion von Masterstudierenden zur Ausstellung "totgeschwiegen"

Am 5. November 2018 besuchte der Kurs KPP SoSe2018 die Ausstellung "totgeschwiegen" in der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.

"Wann soll(t)en wir unsere Stimme erheben?"

Psychologie im 21. Jahrhundert zu studieren, bedeutet auch einen kritischen Blick auf die Disziplin selbst zu werfen, welcher gleichermaßen die Vergangenheit als auch die Gegenwart miteinschließt.

In Vorlesungen und Seminaren an der MSB diskutieren wir über Plagiate und Forschungsbetrug, über Ethik in der Psychologie oder über den Machtmissbrauch in der therapeutischen Beziehung (um ein paar relevante Beispiele zu nennen).

Der Besuch der Ausstellung „totgeschwiegen“ hat uns angehende Psychologinnen und Psychologen mit weiteren schwerwiegenden moralischen und ethischen Themen konfrontiert.

Die Ausstellung erzählt von totgeschwiegenen Schicksalen von Patientinnen und Patienten sowie von ärztlichen Beteiligungen daran. Weiterhin wird über die Geschichte der Psychiatrie des 19. Jahrhundert bis hin zur Gründung der Psychiatrie-Enquete (1971, eine Initiative, die die Psychiatrie reformiert hat) berichtet.

Aus heutiger Sicht ist es erschreckend berichtet zu bekommen, welche Standpunkte damals, vorrangig von Ärzten, vertreten und vorangetrieben wurden sowie wie häufig manipuliert, verschleiert und später totgeschwiegen wurde. Am Ende kristallisierte sich die Frage heraus: Wie aufmerksam und mutig muss man sein, um die Menschenwürde der sich an uns vertrauensvoll gewendeten Patientinnen und Patienten unter allen möglichen Umstände zu verteidigen?

Es gab auch viele aktuelle Themen, die uns weiterhin im klinischen Alltag unter Betrachtung ethischer Aspekte beschäftigten: Der Umgang mit Patientinnen und Patienten in der forensischen Psychiatrie, den Zugang zur therapeutischen Versorgung, das Thema der Sterbehilfe bis hin zur Pränatal Diagnostik.

Die Ausstellung über die psychiatrische Geschichte der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik wurde (erst) 1980 durch das Engagement und die Recherchen der damaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klinik initiiert. Diese Gruppe galt dann in der Klinik als „Nestbeschmutzer“, da die unanschaulichen Taten vermutlich möglichst unausgesprochen und verdeckt bleiben sollten.

Gleiches Schicksal erfuhren Alice Ricciardi von Platten und Alexander Mitscherlich 1946 als Mitglieder der Beobachterkommission beim Nürnberger Prozess für die Ärztekammer. „Die Nürnberger Bevölkerung wollte vom Ärzteprozess nichts wissen mit der Begründung, dass doch die Ärzte kein Verbrechen begangen hätten. […] Es war niederschmetternd.“ - erinnert sich Alice Ricciardi 1993. Sie ist auch die Autorin des Buches: „Die Tötung Geisteskranker in Deutschland“. Nur etwa 20 der 3000 Exemplare des Buches in der ersten Auflage kamen 1948 in Umlauf. Wir möchten aber folgendes Zitat bewahren:

 

„So lange Menschen leben, wird nur ein Teil von ihnen der Norm eines Durchschnittsmenschen entsprechen; doch wäre das Leben farblos und wir arm an Kenntnis und Wissen über den Menschen und sein Sein, wenn wir zuließen, dass die „Abnormen“ kurzerhand beseitigt würden. Gerade Geisteskranken mit der Fülle ihrer Visionen und inneren Bilder stellen uns mitten in die Problematik des Menschenseins; gerade dem Geisteskranken sollte unsere Ehrfurcht und Liebe gelten, ist er doch in besonderer Weise hilflos den Dämonen preisgegeben und aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. – wenn auch den „Göttern näher“, wie Norbert von Hellingrath in einer Rede über Hölderlins Wahnsinn schrieb.“

 

Wir bedanken uns für die Organisation des Ausstellungsbesuches durch Prof. Dr. med. Hagen Kunte. Unser größter Dank gilt hierbei Herrn Günter Brinkmann-Geil der uns an das Thema der Ausstellung herangeführte, zahlreiche Fragen mit uns diskutierte und uns durch die Ausstellung führte. Vielen Dank.

Nach dem Besuch der Ausstellung „totgeschwiegen“ berichtete ein Freund und Kollege von Herrn Prof. Kunte Herr Dr. med. Thomas Kliewe (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) noch über seine Tätigkeit im dortigen Maßregelvollzug und der forensische Psychiatrie. Er bot unserem Kurs an ihn erneut besuchen zu dürfen.  

Verfasserin des Textes: Caterina Pinto, Studierende KPP SoSe 2018

Gebäude auf Campusgelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, Berlin, privates Foto

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