Datum: 18.04.2024
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Rückblick zu vergangenen Ringvorlesungen im Jahr 2021

Wintersemester 2021/2022

»The Epigenetics of Stress and Trauma: From Research to Practice«

Vorsitz: Prof. Dr. habil. Roland Weierstall-Pust (MSH Medical School Hamburg)

Die Epigenetik beschäftigt sich mit der Frage, wie Umwelteinflüsse dazu beitragen, dass Gene stärker oder schwächer abgelesen werden. Darüber hinaus wird untersucht, ob die Umwelt einen Einfluss darauf hat, welchen Phänotyp ein Lebewesen trotz eines vorgegebenen Genotyps ausprägt. Insbesondere im Bereich der Psychotraumatologie versucht die Wissenschaft Antworten darauf zu finden, inwieweit traumatische Erfahrungen mittels epigenetischer Mechanismen nicht nur einen Einfluss auf die Psyche besitzen, sondern wortwörtlich »unter die Haut gehen«.

Im Zuge der Ringvorlesung sollen Einblicke in aktuelle Forschungsergebnisse zu trauma-assoziierten epigenetischen Prozessen gegeben werden. Die englischsprachigen Vorlesungen decken dabei das Spektrum von grundlagenwissenschaftlichen Befunden bis hin zu anwendungsbezogenen Studien mit Traumaüberlebenden ab.

Ringvorlesung am 24. Februar 2022

»Enhancing our understanding of epigenetic & genetic mechanisms of trauma and PTSD in high adversity, low-resource contexts« mit Prof. Dr. Soraya Seedat

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine heterogene Störung, die durch kumulative und anhaltende Traumata hervorgerufen werden kann. Die genetische und kulturelle Vielfalt in Bezug auf das PTBS-Risiko wurde erst kürzlich in afrikanischen Bevölkerungsgruppen untersucht, die überproportional häufig Traumata ausgesetzt sind und möglicherweise ein erhöhtes Risiko für die Erkrankung aufweisen.

In der Ringvorlesung am 24. Februar stellte Prof. Dr. Soraya Seedat aktuelle Studien vor, die epigenetische und genetische Mechanismen im Zusammenhang mit Trauma und PTBS untersuchten. Dabei wurde PTBS innerhalb ihrer komplexen Wirkungsprozesse besprochen und es konnten tiefergehende Einblicke in ihre interdependenten Effekte gegeben werden.

Prof. Dr. Soraya Seedat ist u. a. Professorin für Psychiatrie an der Stellenbosch Universität (Südafrika) und ist South African Research Chair in Posttraumatic Stress Disorder des Departments of Science and Technology und der Nationalen Forschungsgemeinschaft. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen für ihre Forschungsarbeiten erhalten, wie beispielsweise das World Federation of the Society of Biological Psychiatry Fellowship.

An der letzten Ringvorlesung in diesem Semester nahmen über 120 Interessierte teil.

Ringvorlesung am 20. Januar 2022

»The Epigenetics of Stress and Trauma: From Research to Practice«
mit Prof. Dr. Leon Mutesa

Der Genozid in Ruanda kostete 1994 ca. einer Million Tutsi das Leben und lässt viele Überlebende traumatisiert zurück. Das gesellschaftliche Trauma ist auch in der heutigen Generation des Landes verankert. In der Ringvorlesung präsentiert Prof. Dr. Leon Mutesa aktuelle Erkenntnisse über die Auswirkungen der Epigenetik bei der Übertragung von Trauma und PTBS innerhalb und zwischen den Generationen in Folge des Völkermords. Sein derzeit laufendes Forschungsprojekt zielt darauf ab, genetische Veränderungen und die damit verbundenen biologischen Mechanismen der PTBS auf Bevölkerungsebene mithilfe von GWAS und OMICS-Technologie zu bestimmen.

Prof. Dr. Leon Mutesa ist Direktor des Center for Human Genetics am College der Medicine and Health Sciences-University of Rwanda (Ruanda). Er war Direktor des Departments of Clinical Laboratory am Kigali University Teaching Hospital, sowie Generaldirektor des Medical Research Centers am Rwanda Biomedical Centre unter dem Gesundheitsministerium, an dem er die nationalen Gesundheitsstrategien koordinierte. Seit Beginn seiner Karriere hat Prof. Dr. Mutesa die Entwicklung eines Zentrums für medizinische Genetik in Ruanda vorangetrieben, welches das erste seiner Art in Ost-Afrika darstellte.

Ringvorlesung am 21. Oktober 2021

»How life experiences leave traces in descendants: Epigenetic mechanisms in the germline«
mit Prof. Dr. Isabelle Mansuy

Traumatische Erlebnisse, wie Krieg und Gewalt, aber auch Umweltverschmutzung, ein ungesunder Lebensstil oder Medikamentenmissbrauch – all diese Faktoren können das Leben von Menschen nachhaltig verändern und zwar nicht nur in der eigenen Lebensspanne sondern scheinbar auch über mehrere Generationen hinweg. Die Referentin Prof. Dr. Isabelle Mansuy ist Professorin für Neuroepigenetik an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich und am Institut für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich tätig. Sie wurde als Neurobiologin ausgebildet und forschte 20 Jahre zu den molekularen Mechanismen des Gedächtnisses. In den letzten Jahren wechselte sie zur neuartigen Disziplin der epigenetischen Vererbung und wurde zu einer der Pionierinnen auf diesem Gebiet. Isabelle Mansuy ist für den Nobelpreis in Physiologie oder Medizin nominiert.

In der Ringvorlesung präsentierte sie ein »Mouse Modell« welches sie gemeinsam mit ihrem Team entwickelt und erforscht. Indem neugeborene Mäuse bereits kurz nach der Geburt unregelmäßig von ihren Muttertieren getrennt und so traumatisiert werden, konnte die Gruppe feststellen, dass sich nicht nur ihr Verhalten tiefgreifend veränderte (die traumatisierten Tiere neigten eher zu risikoorientiertem Verhalten, zeigten depressive Störungen und konnten Artgenossen schlechter wiedererkennen) sondern auch die Zusammensetzung ihres Blutes. Sobald sich diese Tiere fortpflanzten, zeigten auch die folgenden Generationen weiterhin Merkmale des Traumas. Das Forscherteam konnte diese überwältigenden Ergebnisse ebenfalls in Menschen nachweisen. Sie untersuchten Proben von über 100 Männern in Pakistan, die im jungen Alter durch Krieg, Gewalt und Verfolgung traumatische Erfahrungen machen mussten. Auch sie zeigten eine genetisch übertragbare veränderte Blutzusammensetzung. Welche Auswirkungen diese Erkenntnisse u.a. auf die psychotherapeutische Behandlung von Traumapatientinnen und -patienten haben könnte, ist noch nicht klar. Die Referentin plädiert jedoch für ganzheitliche Therapieansätze, die nicht nur Verhalten und Psyche zur Kenntnis nehmen, sondern auch körperliche Faktoren einbeziehen.

Zum Auftakt der Ringvorlesungen im Wintersemester 2021/22 nahmen über 150 Interessierte teil.

Sommersemester 2021

»Am Leben bleiben – Suizidprävention über die ganze Lebensspanne«

Vorsitz: Prof. Dr. habil. Birgit Wagner und Prof. Dr. habil. Eva-Marie Kessler
(MSB Medical School Berlin)

In Deutschland begehen jedes Jahr etwa 10.000 Menschen Suizid. Hochaltrige Männer haben die mit Abstand höchste Suizidrate, allerdings treten Suizide auch bereits im Kindes- und Jugendalter auf. Suizidversuche werden besonders häufig von Frauen und in jüngerem Lebensalter unternommen. Welche Risikofaktoren für Suizidalität sind neben Alter und Geschlecht bekannt und welche Aussagekraft haben sie für den Einzelfall? Wie gut haben diverse Maßnahmen der letzten zehn Jahre geholfen, Suizide in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu vermeiden? Wie gelingt es, an Gefährdete ein bedarfsgerechtes, wirksames Behandlungsangebot heranzutragen?

Die Ringvorlesung liefert einen Einblick in den aktuellen Stand der Grundlagen- und Interventionsforschung in dem Themenfeld und zeigt deren Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe »Suizidprävention über die ganze Lebensspanne« auf.

Ringvorlesung am 08. Juli 2021

»Suizidalität im Kindes- und Jugendalter: Beschreiben, verstehen, handeln«
mit Prof. Dr. Susanne Knappe

An der Ringvorlesung am Donnerstag, den 08. Juli mit Prof. Dr. Susanne Knappe der TU Dresden zum Thema »Suizidalität im Kindes- und Jugendalter«, die den Abschluss der Reihe aus dem Sommersemester »Am Leben bleiben – Suizidprävention über die ganze Lebensspanne« bildet, haben erneut über 270 interessierte Studierende, Psychologische Psychotherapeuten und Interessierte teilgenommen.

Suizid ist bei Kindern- und Jugendlichen die häufigste Todesursache. Dennoch erforschen nur wenige Experten Suizidalität in dieser spezifischen Altersgruppe so genau. Prof. Dr. Knappe berichtete von z.T. selbst durchgeführten Studien, die zeigen, dass psychische Störungen fast immer ihren Anfang in der Adoleszenz nehmen. Insbesondere das Alter um 14 Jahre scheint ein wichtiger Wendepunkt zu sein. In dieser Altersgruppe dachten bereits ca. 18% aller Kinder und Jugendlichen an Suizid oder entwickelten sogar einen Plan. Zudem zeigt sich, dass Suizidideen häufig episodisch auftauchen, also wiederkehren. Tatsächlich suchen viele Betroffene erst ca. 15 Jahre (!) nach den ersten Symptomen Hilfsangebote auf. Umso wichtiger – so die Expertin – wirksame Präventionsprogramme zu entwickeln, um so früh wie möglich in den Prozess einzugreifen. Prof. Dr. Knappe und ihr Team entwickelten daher ein vielversprechendes Präventionsprogramm für Schüler, um kompakt und interaktiv über psychische Erkrankungen aufzuklären, über Hilfsangebote zu informieren und schließlich die Mental Health Literacy unter Kindern und Jugendlichen zu fördern.

Ringvorlesung am 24. Juni 2021

»Suizidalität im Alter« mit Prof. Dr. med. Reinhard Lindner

Prof. Dr. med. Reinhard Lindner ist Professor für Theorie, Empirie und Methoden der Sozialen Therapie am Institut für Sozialwesen der Universität Kassel und einer der Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSpro). In der Ringvorlesung am 24. Juni behandelte er das sensible Thema »Suizidalität im Alter«.

Suizidwünsche und Suizidalität werden in unserer Gesellschaft primär jüngeren Bevölkerungsschichten zugeordnet. Statistiken zeigen jedoch deutlich, dass Suizid vielmehr die Handschrift des Alters - und noch spezifischer – die des alten Mannes trägt. Ab einem Alter von über 70 Jahren ist das Risiko Suizid zu begehen 5mal höher als in der Normalbevölkerung. Das Verhältnis von älteren Männern und Frauen, die sich das Leben nehmen, liegt bei 3:1. Suizidalität im Alter ist geprägt von einem breiten Spektrum, welches von »Lebenssattsein«, also zufrieden sein mit dem im Leben Erlebten und Erreichten, über die »Lebensmüdigkeit«, d.h. dem Wunsch nach Sterben, aber ohne eigene Aktivität, bis hin zu Suizid und zur durchgeführten Selbsttötung reicht. 

Insbesondere in der letzten Lebensspanne eines Menschen können Faktoren, wie Erkrankungen, Vereinsamung, Ohnmachtsgefühle, aber auch Autonomieverlust und Hoffnungslosigkeit Suizidgedanken auslösen. Wie in jedem Alter sind diese Faktoren natürlich geprägt von der individuellen Biografie des Menschen. Bei der Anwendung von gesunden – über das gesamte Leben hinweg aufgebauten – Bewältigungsstrategien und Abwehrmechanismen muss das Erleben oder die Angst vor diesen Faktoren nicht unbedingt den Wunsch nach Suizid nach sich ziehen. Schutzfaktoren vor suizidalem Erleben im Alter sind zudem innere und soziale Flexibilität, die Einstellung zu Religion, eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Altersbild sowie starke Beziehungen, Mobilität und gutes Wohnen. 

Im klinischen Kontext, aber auch in Senioreneinrichtungen sollten Pflegende, Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen im Kontakt mit suizidalen älteren Patient*innen zu allererst Hilfe in Form einer unterstützenden Beziehung anbieten. Es ginge nicht darum, sofort eine Lösung vorzuschlagen. Vielmehr solle man in Kontakt kommen und für die Person da sein. Denn – und das betont Prof. Dr. Lindner – Suizid ist eine Option. Für jeden Menschen, in jedem Alter. Seiner Meinung nach ginge es bei der Prävention nicht um das Verhindern von Suizid um jeden Preis. Vielmehr solle das Leid des Menschen so weit wie möglich gelindert werden, um das jeweilige Leben lebenswert zu erhalten. Als Fazit für Angehörige, Freunde und Pflegende kann also mitgenommen werden: Jede Person trifft eigenständige Entscheidungen. Und die können wir manchmal weit weniger beeinflussen als wir es uns wünschen.

Ringvorlesung am 20. Mai 2021

»Umgang mit suizidalen Patienten. ASSIP – Ein Behandlungsangebot«
mit Dr. phil. Anja Gysin-Maillart

Dr. phil. Anja Gysin-Maillart ist Senior Psychologist und Psychotherapist bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern. Sie ist Mitglied verschiedener internationaler Forschungsgruppen im Bereich der Suizidprävention und hat ein Kurzzeittherapieangebot mit dem Kürzel ASSIP (Attempted Suicide Short Intervention Program) entwickelt, das sich spezifisch an Patient*innen nach einem Suizidversuch richtet. Im Rahmen ihres Vortrags hat Dr. Gysin-Maillart das Therapieprogramm, dessen Wirksamkeit und Effizienz bereits in renommierten Fachzeiten wie JAMA Network publiziert wurde, vorgestellt und mit Hilfe verschiedener Videobeispiele veranschaulicht.


Ringvorlesung am 22. April 2021

»Vorhersage suizidalen Verhaltens: Theoretische Hintergründe, empirische Befunde und klinische Empfehlungen« mit Prof. Dr. Heide Glaesmer

Im Jahr 2019 starben in Deutschland knapp 9.000 Menschen durch Suizid (zum Vergleich: 2016 sind in Deutschland ca. 3.300 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen). Diese Zahlen führen fast unvermeidlich zur Frage, wie Suizide besser verhindert und wie Menschen mit Suizidgedanken noch wirkungsvoller erreicht werden können. In der Ringvorlesung am Donnerstag, den 22. April stellte die Referentin Prof. Dr. Heide Glaesmer (Stellvertretende Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universitätsmedizin Leipzig) zwei eigene Studien zum Thema »Suizidprävention« vor und leitete im Anschluss praktische Handlungsempfehlungen für klinische und außerklinische Interventionen ab. 

Zusammenfassend zeigen ihre Forschungsergebnisse, dass eine Risikoeinschätzung suizidalen Verhaltens nicht sicher möglich ist. Wichtige Indikatoren für eine solche Einschätzung können vorangegangene stationär-psychiatrische Behandlungen, Suizidversuche, Suizidgedanken und besonders belastende Ereignisse im Leben eines Menschen sein. Doch auch eine gewissenhafte Bewertung dieser Faktoren erlauben kein klares klinisches Urteil: Die wenigsten Menschen mit Suizidgedanken und bereits unternommenen Suizidversuchen, sterben durch Suizid. Und: Menschen, die durch einen Suizid sterben, verneinen oft noch kurz davor überhaupt Suizidgedanken gehabt zu haben.

Dennoch sind Therapeut*innen sowie andere Behandler*innen oder Berater*innen natürlich verpflichtet, eine Einschätzung vorzunehmen und ggf. Maßnahmen einzuleiten, um suizidale Handlungen zu verhindern. So können Fragen zu diesem Thema oft gefühlte gedankliche Einengungen bei Betroffenen auflösen und werden oftmals sogar als wirkungsvolle Intervention empfunden. Laut Prof. Dr. Heide Glaesmer ist die Zusammenarbeit mit dem Patienten oder der Patientin essentiell. Es sollte immer das Ziel sein, die Situation als kollaborativen Prozess gemeinsam zu lösen.


 

 

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